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Goslar-Diskurs: Big Data – Bürgerschreck oder Hoffnungsträger?

Inzwischen ist sie längst zur Tradition geworden: Alljährlich veranstaltet das Goslar Institut, die Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern, am Rand des Verkehrsgerichtstags in Goslar eine öffentliche Diskussionsrunde mit Experten zu einem speziellen Thema. Diesmal ging es um den Datenschutz, zu dem die Deutschen ein gespaltenes Verhältnis zeigen. Gerade hier zu Lande ist die Sorge weit verbreitet, persönliche Daten könnten für dunkle Zwecke missbraucht werden. Andererseits gehen viele Menschen mit ihren Daten bekanntermaßen äußerst sorglos um, vor allem in den sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Instagram.

Zu diesem Phänomen gab das Goslar Institut im vergangenen Jahr eine wissenschaftliche Untersuchung mit dem Titel „Big Data: Bürgerschreck oder Hoffnungsträger?“ in Auftrag und lud jetzt zur Podiumsdiskussion ein.

Für Versicherungen jedweder Art gehöre das Sammeln von Daten ihrer Kunden seit Jahrzehnten zum Geschäftsprinzip, weiß Professor Fred Wagner vom Institut für Versicherungslehre der Universität Leipzig und einer der Autoren der Studie. „Nur die Menge der Daten, ihre Art und die Geschwindigkeit des Aufkommens wächst rasant“, sagt der Wissenschaftler. „Deren Potenzial liegt in neuen Services, die das Leben der Menschen und die Geschäfte der Unternehmen verbessern sollen.“ Auch in der Medienbranche spielen die Daten der Konsumenten eine zunehmende Rolle, stellt Christoph Keese, Chef der auf Digitales spezialisierten Tochtergesellschaft Axel Springer hy GmbH des Springer-Konzerns fest: „Traditionelle Geschäftsmodelle verändern sich, neue haben sich bereits etabliert oder befinden sich in der Entwicklung.“

Persönliche Daten ihrer potenziellen Kunden oder Nutzer bedeuten für viele Unternehmen klingende Münze und manchmal geldwerte Summen in unvorstellbarer Höhe. Und die eigentlichen Besitzer der Daten? Sie gehen meist noch leer aus. Dem tritt Michael Giese, Gründer & CEO der It's my data GmbH entgegen. Er will dafür sorgen, dass jeder Einzelne mit seinen Daten Gewinn machen kann. „Unser Name ist Programm“, bekräftigt Giese. „Die Souveränität über seine Daten gehört dem Eigentümer. Er muss wissen, wer was über ihn sammelt, um dann zu entscheiden, was damit passiert und gegebenenfalls auch Geld zu verdienen.“

Diese These trifft bei Thilo Weichert, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V., auf vehementen Protest. „Ich habe sehr große Bedenken, ob der Konsument irgendwann einmal in der Lage sein wird, seine Daten zu vermarkten. Das machen zwar heute bereits Promis mit ihren Werbebotschaften und Ähnlichem beispielsweise. Aber bei uns ist der Datenschutz viel zu schwach, um sich Großkonzernen wie Google oder Facebook Paroli bieten zu können."

„Wir beobachten sehr genau, was in unserem Umfeld – genauer gesagt rund ums Auto – passiert", sagt Vorstandssprecher Klaus-Jürgen Heitmann von der HUK-Coburg-Versicherung. „Wir haben ja bereits einen Gegenwert für die Daten unserer Kunden im Angebot, nämlich den Telematik-Tarif bei dem wir mit dem Kunden einen Deal machen: Wir bauen Sensoren in ein Auto ein, die sein Fahrverhalten aufzeichnen. Wir glauben nämlich, dass davon eine für uns relevante Schadensvoraussage abzuleiten ist. Dafür gibt es dann möglicherweise Nachlässe und Rabatte.“

Heitmanns ganz besonderer Wunsch wäre es, von den Daten profitieren zu können, die schon heute bei allen Automobilherstellern einlaufen. „Wir könnten das für den Kunden noch viel attraktiver gestalten, wenn wir auf die Daten, die moderne Autos produzieren auch ohne eigene Infrastrukturmaßnahmen Zugriff bekämen.“ Doch in dieser Beziehung beißen die Versicherungsunternehmen bei den Autokonzernen zurzeit noch auf Granit.

Die Studie des Goslar Instituts kommt zu diesem Ergebnis: Es bedarf aus Sicht der Experten eines Paradigmenwechsels im Umgang mit Big Data auf der einen Seite und dem Schutz von Daten auf der anderen Seite. Denn eine immer stärkere Regulierung von Big Data, wie sie zunehmend gefordert wird, um etwa international agierenden „Datenkraken“ Einhalt zu gebieten und letztlich auch den Bürger vor sich selbst zu schützen, soll nicht die Chancen der Digitalisierung verkennen, geschweige denn zunichtemachen. Der Paradigmenwechsel, welcher den Verfassern der Studie vorschwebt, beinhaltet im Kern den Wandel der Datenschutzdiskussion vom Schutz- zum Handlungskonzept: Damit soll der Bürger in seiner Rolle als Nutzer digitaler Technologien so unterstützt werden, dass er seine Daten gezielt und sicher zu den von ihm gewünschten Zwecken weitergeben kann.

Am Ende der Diskussion in Goslar aber gab es im Grunde genommen kaum Neues. Fazit: Big Data hat Vor- und ebenso viele Nachteile. Den anschaulichsten Vergleich führte Christoph Keese an: „Unser Thema hat beides. Es ist Hoffnungsträger und Bürgerschreck zugleich. Man kann mit einem Brotmesser Brot schneiden, aber auch Menschen verletzen." Noch drastischer drückte sich Datenschützer Thilo Weichert in seinem Schlusswort aus: „Ohne Big Data können wir in Zukunft keinen Frieden, keine Demokratie, keinen Umweltschutz, keine Klimaerhaltung realisieren. Wir brauchen künstliche Intelligenz, wir brauchen Big Data, und wir brauchen eine Begeisterung dafür. Aber wir sind noch ganz weit weg davon, dass der Datenschutz reguliert wird, und das weltweit." (ampnet/hrr)

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Die Teilnehmer des Goslar-Diskurses zum Thema Big Data mit ntv-Moderatorin Carola Ferstl.

Die Teilnehmer des Goslar-Diskurses zum Thema Big Data mit ntv-Moderatorin Carola Ferstl.

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Spuren im Netz.

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Fred Wagner.

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Christoph Keese.

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Michael Giese.

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Thilo Weichert.

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Klaus-Jürgen Heitmann.

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